Ann-Kathrin im „Oficina Técnica Provincial“ in Salcedo – Dom. Rep.

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Weltwärts 2022/23 mit Ecoselva – Ann-Kathrin Heid – Zweiter Zwischenbericht – April 2023

Von „Wo bin ich hier gelandet?“ zu „Ich will hier nicht mehr weg!“

Als ich im August hier meine ersten Tage in Salcedo und am Liceo verbracht habe, dachte ich mir ganz ehrlich nur eins: „Worauf zum Geier hab ich mich da nur eingelassen?“. An meinem dritten Arbeitstag habe ich ungelogen den ganzen Tag geweint – und konnte auch nicht mehr aufören. Ich war gerade mal 2 Wochen aus Deutschland weg, und trotzdem hab ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als einfach wieder in den Flieger zurück nach Hause steigen zu können. Danach kamen immer wieder neue Hoffnungsetappen, Punkte von denen ich dachte, ab dann wird es endlich besser: Der erste Schultag mit Schülern, die Ankunft der verspäteten Englischlehrer und so weiter. Doch es wurde nicht wirklich besser, ich hab einfach nur gelernt besser mit Heimweh und allem Drum und Dran umzugehen. Meine stressige Arbeitsituation zu Anfang hat natürlich auch ihren Teil dazu beigetragen. Aber selbst im Dezember nach meinem Wechsel zu meiner Lehrerin Juliet habe ich immer noch auf den Tag gewartet, an dem ich endlich meine Arbeit endlich zu 100% genießen werde. Und irgendwann hate ich mich dann damit abgefunden, dass es bei mir wohl einfach nicht dieses geile Jahr werden würde wie ich zuvor gehört hatte, und war dann irgendwie auch finde damit. Dann kam ziemlich schnell ein Weihnachtsfest und im Januar wenig später ein Geburtstagshoch, und irgendwie war das der Turning Point.

Ich hate nach meinem Weihnachts-Fail zugegeben echt wenig Lust auf meinen Geburtstag. Im Nachhinein würde ich sagen, es war der schönste Geburtstag, den ich je hate, und das deswegen, weil die Menschen am Liceo ihn dazu gemacht haben. Das war für mich auch der erste Moment in dem ich realisiert habe, dass die Kids mich einfach von Herzen gerne mögen, und sich freuen, dass ich jeden Tag zu ihnen in den Unterricht komme. Und sobald ich das verstanden hate, konnte ich mit einem Mal alles am Liceo ganz anders genießen. Es hat leider fast bis zu den Weihnachtsferien gedauert, bis ich überhaupt meinen „Platz“ gefunden habe. Mittlerweile fühle ich mich aber super wohl und bin total froh, fest bei meinen Klassen zu sein. Dementsprechend hat sich seit Dezember auf den ersten Blick auch nicht viel verändert.

In meinem Lebensumfeld in Salcedo und bei meiner Gastfamilie ist im Endeffekt alles beim Gleichen geblieben, daran hate ich aber auch keine wirklichen Verbesserungswünsche. Ich verbringe sowieso relativ wenig Zeit zu Hause, und von daher stört es mich auch nicht all zu sehr, dass ich außerhalb meiner Arbeit und meinen Mitfreiwilligen keine wirklichen Kontaktpersonen habe. Unter der Woche besteht mein Alltag eigentlich meist daraus, dass ich nach der Arbeit einfach nur Telefonaten mit Freunden/ Familie nachgehe, oder auf der Terrasse chille. Ich werde bei meiner Gastmutter Lourdes rundum umsorgt, muss mich also weder ums Wäschewaschen noch ums Kochen selbst kümmern. Das bringt natürlich einen gewissen Komfort mit sich und stört mich dementsprechend so gar nicht ;).

Für die Zeit am Liceo hate ich dagegen für das neue Kalenderjahr schon einige Erwartungen und Wünsche. Vor Allem war mir wichtig, meine Bindungen zu den Leuten dort zu vertiefen und mich besser zu integrieren. Und das ist mir auch gelungen!

Ich arbeite nach wie vor mit den Schülern der 3. Klasse im Englischunterricht, und ein bisschen nebenbei im Musikunterricht der Zweitklässler. Je mehr Zeit ich mit den Kids verbringe, desto enger wird die Bindung zu ihnen. Seit Januar hat sich also vor Allem eins verändert: Ich bin enger mit meinen Schülern geworden, worauf ich auch mega stolz bin. Ich bin erst Ende November gewechselt, und sich mitten im Jahr neu in ein schon gut funktionierendes Konstrukt aus Klasse und Lehrkraft einzufügen, ist definitiv schwerer als direkt am Schuljahresanfang dazuzukommen. Verglichen mit meiner Zeit zuvor habe ich mich aber bei den neuen Klassen insbesondere am Anfang o unnötig gefühlt, wie ein 5. Rad am Wagen. So überfordert ich vor meinem Wechsel (im Unterricht und mit meinen zu vielen Aufgaben) war, ich wurde wenigstens gebraucht. Die Drittklässler mussten sich dagegen erst neu an mich gewöhnen, und Viele fingen erst nach einiger Zeit an überhaupt mit mir zu sprechen. Sie waren nicht gezwungen mir Fragen zu stellen, und o konnte ich diese logischerweise auch nicht ganz so gut beantworten, wie eine Lehrerin. Umso glücklicher bin ich darüber, dass es von Woche zu Woche besser wird, und ich mittlerweile auch gut mal Stunden alleine vertreten kann. Vor 4 Monaten hätte ich mir das noch nicht so sicher zugetraut. Und auch wenn es manchmal echt nicht einfach ist, Juliet z.B. für eine Woche alleine vertreten zu müssen, nehme ich den Stress gerne auf mich, um Zeit mit den Kids zu verbringen. Ich schätze jeden Tag am Liceo und habe meine Schüler unglaublich ins Herz geschlossen. O frage ich mich natürlich nach der Sinnhaigkeit für die Kinder, wenn ich viel alleine im Unterricht bin, aber ich kann natürlich nicht mehr tun, als mein Bestes zu geben. Mann muss nämlich ganz klar sagen, dass wir als Freiwillige keine Lehrer oder Pädagogen sind, und wir deswegen natürlich auch keine Lehrkra einfach so ersetzen können. Das sollen wir ja aber eigentlich auch nicht. Mir persönlich bringt dieser Begleitaspekt auch sehr viel mehr, als wenn ich selbst Unterricht halten muss. Durchs Zuschauen & Dabeisein im Unterricht lerne Ich täglich super viel dazu, und man lernt vor Allem auch nie aus 😉

Während es beim Liceo seine Zeit gebraucht hat, habe ich mich in die Natur der Dom Rep schon von Anfang an verliebt gehabt. In den letzten 4 Monaten durfte ich nur noch mehr tolle Orte sehen, Allem voran den höchsten Berg der Karibik, den Pico Duarte (sogar höher als die Zugspitze!), die naturbelassene Isla Saona ganz im Süden des Landes, und die allseits bekannte Halbinsel Samaná. Damit dürfte auch klar sein, dass die Dom Rep nicht nur Strände zu bieten hat: Von Gebirgen, Wasserfällen und Palmenwäldern im Norden, bis hin zu Sanddünen und Steppenland- schauen im Süden. Generell kamen meine Vorstellungen vor meiner Abreise nicht mal annähernd an das ran, was ich dann tatsächlich sehen durfte. Man findet hier wirklich alles an Natur! Das Reisen ist auch definitiv einer der coolsten Begleitaspekte bei meinem Freiwilligendienst. Sich die ganze Arbeitswoche drauf freuen zu können, am nächsten Wochenende irgendwelche Aktivitäten zu unternehmen, ist einfach mega, aber natürlich auch ein riesigen Privileg. Wenn man bedenkt, dass ich mittlerweile mehr von diesem Land gesehen habe, als die meisten Dominikaner es wohl in ihrem ganzen Leben tun werden, muss man einfach wieder sehen wie viele Freiheiten wir Freiwillige haben. Und unser Einsatzland mit all seinen Facetten kennenlernen zu dürfen gehört auch dazu.

Man muss aber auch ganz klar sagen, dass die Tier- und Pflanzenwelt hier im Land ziemlich stark unter dem dominikanischen Lebensstil leidet. Gefühlt überall liegt Plastikmüll in Wiesen, Flüssen und Wäldern – zumindest da, wo er nicht akv weggeräumt wird. Wartet man im Auto um jemanden abzuholen oder etwas aus-/ einzuladen, wird grundsätzlich der Motor nicht ausgeschaltet, auch wenn das Ganze 30 Minuten dauert. Und wenn an Weihnachten oder Geburtstag die gesamte Verwandtschaft zu Besuch kommt, wird extra Wegwerfgeschirr und -Besteck verwendet, damit man nachher nicht abspülen muss. In Sachen Müllsystem, Umweltschutz und Bewusstsein der Leute ist da also noch ziemlich viel Lu nach oben (wir in Deutschland machen ja aber auch noch lange nicht alles was notwendig wäre 😉 ).

Daran an schließt natürlich auch der Konsum von frischen Produkten. Ich selbst ernähre mich vegetarisch und kann das glücklicherweise hier auch wie gewohnt durchziehen, allerdings mit so einigen Hürden im Alltag. Faustregel: Wenn man nicht explizit sagt, dass man etwas sowohl ohne Fleisch ALS AUCH OHNE Schinken bzw. Salami haben möchte (jaaa Salami ist hier kein Fleisch), ist nichts vegetarisch. Und wenn man besagte Nachfragen anstellt, muss man trotzdem immer mit schiefen Blicken und oft auch Unverständnis rechnen. Ein hoher Fleischkonsum gehört hier zur normalen Ernährung dazu, und ist selbstverständlich. Auch Eier und Milchprodukte werden hier aufgrund der billigen Preise sehr viel konsumiert, und Spoiler: Da kommt man wirklich nur sehr schwer drum rum. Ich freue mich tatsächlich schon sehr darauf, in Deutschland wieder etwas mehr Abstand davon nehmen zu können, und vor Allem auf endlich wieder mehr Vielfalt beim Essen.
Denn fun fact: Auf die Frage „Was ist dein Lieblingsessen?“ habe ich tatsächlich bisher immer nur dieselbe Antwort bekommen: „Reis mit Bohnen und Fleisch!“. Das isst man hier nämlich jeden Tag, ob in der Schulkantine, Arbeitsmensa oder zu Hause, und im Gegensatz zu mir essen die Leute das sehr gerne.
Ein Freiwilligendienst bedeutet aber auch einfach Abstriche in seinem gewohnten täglichen Leben zu machen. Es gehört dazu, sich lost und alleine zu fühlen, und sich manchmal zu wünschen einfach nach Hause fliegen zu können, weil man Land, Leute und Essen so doll vermisst. Aber sich da durchzukämpfen lohnt sich!
Ich bin einfach dankbar, dass ich hier sein darf, und möchte gar nicht mehr zurückfliegen. Meinen Alltag hier so ganz ohne Leistungsdruck und großen Erwartungen von Anderen würde ich schon gerne noch ein Weilchen behalten. Ich kann jetzt schon mit Sicherheit sagen, dass mir der letzte Unterrichtstag am Liceo unglaublich schwerfallen wird. Leider haben wir nämlich nur noch bis Ende Juni Unterricht, deswegen schätze ich jeden Tag hier umso mehr. Gerade auch bei Aktivitäten und Aufführungen außerhalb des Unterrichts bin ich immer sehr gerne dabei um Zeit mit meinen Schülern zu verbringen. Daher freue ich mich auch total auf den Englisch-Monat Mai, und darauf die letzten Monate hier in vollsten Zügen genießen zu können.
Bis bald & Danke fürs Lesen,
Ann-Kathrin